Was können Semaglutid und Co?

In diesem Artikel „Semaglutid und Co – Was können die neuen Adipositas-Medikamente?“ wollen wir auf GLP1R-Agonisten in der Adipositasbehandlung eingehen und auf Wirksamkeit, Sicherheit und langfristige Perspektive der neuen Medikamente wie Semaglutid und Tirzepatide einem Check unterziehen. Was können also die neuen Adipositas-Medikamente Semaglutid und Co?

Prof. Giles Yeo ist Forscher an der MRC Metabolic Diseases Unit der Universität Cambridge, wo er und seine Kollegen die Ursachen und Folgen von Adipositas (Fettleibigkeit) untersuchen. Er ist seit fast 25 Jahren auf diesem Gebiet tätig und behauptet nicht zu übertreiben, dass es in Bezug auf die Behandlung von Fettleibigkeit noch nie eine so aufregende Zeit gab. Die neuen sogenannten GLP1R-Agonisten, zu denen Semaglutid (verkauft unter den Markennamen Ozempic, Wegovy und Rybelsus) von Novo Nordisk und Tirzepatide (verkauft unter dem Markennamen Mounjaro) von Eli Lilly gehören, haben eine Wirksamkeit bei der Gewichtsabnahme gezeigt, die der einer bariatrischen Operation nahekommt. Insbesondere Ozempic machte letztes Jahr internationale Schlagzeilen, nachdem es auf TikTok viral ging und der Trend #MyOzempicJourney kaum zu glaubende Körperveränderungen zeigte. Auch der Hashtag #Ozempic wurde auf der Plattform bereits fast 80 Millionen Mal aufgerufen.

Aktuell sind in Deutschland zur Gewichtsreduktion die verschreibungspflichtigen Medikamente Orlistat, und Liraglutid 3,0 mg verfügbar. Im Laufe des Jahres wird zudem die Markteinführung von Semaglutid 2,4 mg erwartet, welches seit Januar 2022 ebenfalls EU-weit für die Behandlung von Adipositas zugelassen ist.

Für den Blog https://allaboutobesity.org/ hat Prof. Giles YeoWie erklärt, wie diese neue Medikamentenklasse funktioniert und eingeschätzt, ob sie wirklich ein Wendepunkt sind.

Was können die Medikamente?

Diese Medikamente sind die neuesten in der Reihe der GLP1-Analoga (Glucagon-like Peptide 1). GLP1 ist ein Darmhormon, das ursprünglich als „Inkretin“ bezeichnet wurde, weil es Signale an die Bauchspeicheldrüse sendet und die Insulinausschüttung erhöhen kann. Semaglutid und alle seine Vorgänger sind quasi bewaffnete Versionen von GLP1 und wurden aufgrund ihrer Inkretinwirkung ursprünglich zur Behandlung von Diabetes Typ II entwickelt. Ihre Hauptstärke besteht darin, dass sie im Blut viel länger überleben als natives GLP1, das nur eine Halbwertszeit von zwei Minuten hat. Frühere zugelassene GLP1-Analoga, darunter Exenatide von Astra Zeneca und Liraglutide von Novo Nordisk, erforderten tägliche Injektionen. Im Gegensatz dazu muss eine Person mit Typ-II-Diabetes Semaglutid nur einmal pro Woche injizieren. Dadurch wird die Insulinsekretion erhöht und die Aufnahme von Glukose aus dem Blut in Muskeln und Fett beschleunigt.

Wie funktionieren sie und was hat das alles mit Gewichtsabnahme zu tun?

Das hängt mit einer weiteren Funktion von GLP1 als Darmhormon zusammen. Nämlich der Regulierung der Nahrungsaufnahme. Unser Gehirn muss zwei wichtige Informationen kennen, um die Nahrungsaufnahme zu steuern. Erstens muss es wissen, wie viel Fett wir in uns tragen. Und warum? Weil die Fettmenge, die unser langfristiger Energiespeicher ist, ein Anhaltspunkt dafür ist, wie lange wir in der Wildnis ohne Nahrung überleben würden. Die zweite Information, die unser Gehirn wissen muss, ist, wie viel und was wir gerade essen oder gegessen haben. Dies sind kurzfristige Signale, die von unserem Darm kommen. Jedes Mal, wenn wir Nahrung zu uns nehmen, vom Beginn des Kauens bis zu dem Moment, in dem die Nahrung am anderen Ende wieder herauskommt, werden bei jedem Schritt Hormone ausgeschüttet. Interessant ist, dass die große Mehrheit dieser Darmhormone, einschließlich GLP1, ein Sättigungsgefühl auslösen, wenn sie dem Gehirn ein Signal geben.

Ein Nebeneffekt eines langwirksamen GLP1-Analogons wie Semaglutid, das sich in unserem Blutkreislauf befindet, ist also, dass es dem Gehirn Signale gibt und uns ein Sättigungsgefühl vermittelt. Was passiert, wenn wir uns satt fühlen? Wir essen weniger. Und was passiert, wenn wir weniger essen? Wir verlieren Gewicht. Klinische Studien mit Semaglutid haben gezeigt, dass Menschen, die einmal wöchentlich eine Injektion erhalten, über einen Zeitraum von zwei Jahren im Durchschnitt 15 % ihres Körpergewichts verlieren!

Sind die neuen Medikamente sicher?

OK, sie sind also wirksam, aber sind sie auch sicher? Die Ergebnisse der Semaglutid-Studien scheinen darauf hinzudeuten, zumindest kurz- bis mittelfristig. Wie bei allen Medikamenten sind jedoch auch hier Nebenwirkungen zu berücksichtigen. Diese haben mit einer weiteren biologischen Funktion der Darmhormone zu tun, nämlich der Regulierung der Nahrungspassage durch unser Verdauungssystem. Unter bestimmten Umständen, z. B. bei einer Lebensmittelvergiftung, besteht ihre Aufgabe darin, die Nahrung aus unserem System auszuscheiden. Wenn unser Körper merkt, dass er ein Gift aufgenommen hat, werden schnell Darmhormone freigesetzt. Dieser plötzliche Anstieg der Darmhormone, einschließlich GLP1, führt zu einem unangenehmen und explosionsartigen Auswurf des Mageninhalts nach oben.

Eine der Nebenwirkungen von Semaglutid ist daher Übelkeit. In anderen Fällen wird die Nahrung vielleicht etwas zu schnell durch den Verdauungstrakt geschoben. Eine zweite berichtete Nebenwirkung ist dann Durchfall. Um es klar zu sagen: Bei den meisten Menschen treten diese Nebenwirkungen nicht auf, was sich auch in den hohen Abschlussquoten der klinischen Studien widerspiegelt. Dennoch wäre es sinnvoll, die „Hyper-Responder“, also diejenigen, die am ehesten unter Nebenwirkungen leiden, irgendwie zu identifizieren. Entweder, um die Dosierung zu personalisieren oder um ihnen Übelkeit und Durchfall gar nicht erst zuzumuten!

Sind diese Medikamente ein Wendepunkt?

Ist diese Medikamentenklasse also ein entscheidender Fortschritt bei der Behandlung von Fettleibigkeit? Ja, das glaubt Giles Yeo durchaus. Eine Gewichtsabnahme von 15 % in zwei Jahren sei phänomenal, und es gibt Konkurrenten mit einem ähnlichen Wirkmechanismus wie Tirzepatide von Eli Lilly, die noch nicht zugelassen sind, aber eine noch größere Gewichtsabnahme aufweisen. 

Ein paar Dinge sollten jedoch bedacht werden.

 

Erstens war es für Giles Yeo interessant, dass er bei der ersten Zulassung von Semaglutid in England immer wieder gefragt wurde, ob es „moralisch richtig“ sei, eine Behandlung für Fettleibigkeit anzubieten. Dieser Frage liegt die Annahme zugrunde, dass Fettleibigkeit eine Wahl ist, was nicht der Fall ist. Manche Menschen fühlen sich einfach mehr zum Essen hingezogen und können daher seltener „Nein“ zum Essen sagen als andere. Ihr Hunger-‚Thermostat‘ ist, wenn Sie so wollen, etwas höher eingestellt. Diese Medikamente bewirken, dass man sich schneller satt fühlt, wodurch der Thermostat gesenkt wird.

Zweitens: Sollte dieses Medikament für Prominente und andere, die es sich leisten können, rezeptfrei erhältlich sein? In Anbetracht der Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel, der Probleme mit der Dosierung und den Nebenwirkungen sowie der begrenzten Daten zur langfristigen Sicherheit sind sich die Mediziner einig, dass Semaglutid und andere ähnliche Präparate – zumindest vorerst – nur auf Rezept erhältlich sein sollten. 

Drittens, und das ist der wichtigste Punkt, nimmt man wie bei jeder anderen Behandlung wieder zu, sobald man das Medikament abgesetzt hat. Nehmen wir als Analogie Medikamente gegen Bluthochdruck, die sehr wirksam sind. Niemand rät dazu, die Behandlung abzusetzen, sobald sich der Blutdruck normalisiert hat. Er würde einfach wieder ansteigen. Das Gleiche gilt für eine Behandlung zur Gewichtsreduktion. Fettleibigkeit lässt sich vielleicht am besten als eine chronisch-rezidivierende Erkrankung betrachten. Menschen, die mit Fettleibigkeit leben, müssen lebenslang Zugang zu Behandlung und Unterstützung haben. Selbst wenn es sich um ein Arzneimittel handelt, wie bei Semaglutid.

Einen weiteren interessanten Artikel über das komplexe Feld der Adipositas-Behandlung findet ihr hier.

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Bilder: Canva.com